Die Geschichte von Gross Peterwitz in der Kurzfassung

Das Dorf Groß-Peterwitz im Kreis Ratibor in Oberschlesien, liegt an der Zinna, einem linken Nebenfluß der Oder und an der Bahnstrecke Ratibor-Leobschütz-Rasselwitz. Es ist eines der größten Bauerndörfer im Kreis und als das „Schneiderdorf“ weit über seine Grenzen bekannt. Im Jahre 1938 hatte es rd. 3500 meist zweisprachige Einwohner, die wegen der Grenznähe zur Tschechoslowakei neben dem Deutschen auch das Mährische beherrschten. Infolge der Gebietsverschiebungen im Osten nach dem Zweiten Weltkrieg gehört es samt Oberschlesien unter dem Namen Pietrowice Wielkie zu Polen.

Zur Geschichte

Der Raum zwischen Ratibor, Leobschütz und Troppau war wegen seiner Fruchtbarkeit und günstigen Verbindung über die Mährische Pforte zum Donauraum, seit alters her bevorzugtes Siedlungsland gewesen. Dies beweisen die Ergebnisse zahlreicher Ausgrabungen, die in der Gemarkung Groß-Peterwitz durchgeführt wurden. So sind Kulturen der Bandkeramiker, der donauländischen Lengyelkultur, der Trichterbecher- und der Lausitzer Kultur nachgewiesen.

Groß-Peterwitz hatte eine wechselvolle Geschichte. Nach Wegzug der Germanenstämme (Völkerwanderung), siedelten hier im 6. Und 7. Jh. Slawen (Golensizengau). Im 9. Jahrhundert gehörte Groß-Peterwitz dem Großmährischen Reich und von 894 -1306 dem Reich der böhmischen Przemysliden an. Letztere waren dem Deutschen Kaiser tributpflichtig. Im 12. Jahrhundert folgte dann die deutsche Besiedlung und Groß-Peterwitz wurde etwa zu zwei Dritteln Lehen des Bischofs von Olmütz (mährischer Teil) und zu einem Drittel Lehen des schlesischen Herzogs von Jägerndorf (Krnów) (schlesischer Teil). Auch die Diözesangrenze zwischen dem mährischen Bistum Olmütz und der schlesischen Diözese Breslau verlief an der Zinna. Dadurch wurde die Zinna auch zur Sprachgrenze. Westlich der Zinna wurde deutsch und mährisch gesprochen, östlich deutsch und polnisch.

Auf die Herrschaft der Przemysliden folgte von 1310 bis 1526 die Zeit der Luxemburger und von 1526 bis 1742 die Zeit der Habsburger, die nach dem ersten schlesischen Krieg im Jahre 1742 mit dem Sieg des Preußenkönigs Friedrich dem Großen endete. Groß-Peterwitz gehörte dann bis 1945 dem preußischen Staat und damit ab 1871 dem Deutschen Reich an. Seit 1945 ist das Dorf polnisch mit einer gemischten deutsch- polnischen Bevölkerung, wobei die alte deutschstämmige Bevölkerung überwiegt.

Die Gemarkungsfläche beträgt 1477 Hektar besten humusreichen Lößbodens, der für den Anbau von Getreide, Kartoffeln, Zucker- und Futterrüben, Flachs u.a.m. geeignet ist. Die großen Lößflächen auf der linken Oderseite zwischen Ratibor, Leobschütz, Neustadt und Neisse wurden wegen ihrer Fruchtbarkeit auch als „Butterseite Schlesiens“ bezeichnet.

Dorfbeschreibung

Groß-Peterwitz ist ein typisches Angerdorf aus der Besiedlungszeit und wurde 1267 erstmalig erwähnt. Um einen lanzettförmigen, bebauten Anger, liegt auf der Nordseite die „Große Seite“ mit einer Reihe von großen Bauernhöfen und südlich des Angers die „Kleine Seite“ ebenfalls mit einer Reihe von Bauernhöfen. Vorherrschend war die fränkische Haus- und Hofanlage mit den typischen runden Torbögen. Die Gesamtzahl der Bauernhöfe schwankte im Laufe der Geschichte um die 63. Anger, große und kleine Seite bilden das höhergelegene Oberdorf. Ihm schließt sich im Osten das Unterdorf mit ehemaligem Schloß, Dominialhof, Brauerei, Malzfabrik Wassermühle und Kretscham (Gasthaus) an. Das Unterdorf reicht bis zur Zinna. An der Nahtstelle befindet sich die Pfarrkirche und Pfarrhaus. Hier stand auch früher die „alte Schule“. Neben der Pfarrkirche, die im Jahre 1936 umgebaut und erweitert wurde, besitzt die Pfarrei im Südwesten der Gemarkung, dem „Lerchenfeld, idyllisch in einer Mulde des Trojatales gelegen, die Filialkirche zum Hl. Kreuz, die Kreuzkirche. Die 1667 erbaute Holzkirche ist anerkannte Wallfahrtskirche und eine der wenigen noch erhalten gebliebenen, als Denkmal geschützten oberschlesischen Schrotholzkirchen.

Nach der Aufteilung des herrschaftlichen Besitzes entstanden auf den frei gewordenen Flächen um die Mitte des 19. Jh. neue Siedlungen an der Schloß- Fabrik- und Gartenstraße. Mit dem Anschluß von Groß-Peterwitz an die Bahnstrecke Ratibor-Leobschütz-Rasselwitz im Jahre 1856 kam es zur Gründung vieler Handwerksbetriebe vor allem im Schneiderhandwerk.

Im Jahre 1937 zählte das Dorf 3197 Einwohner mit insgesamt 434 Hausnummern und 826 Haushaltungen. Im Dorf waren ansässig: eine Flachsfabrik (ehemalige Zuckerfabrik), zwei Malzfabriken, eine Dampfziegelei und ein Sägewerk; ferner sechs Gastwirtschaften, zehn Kolonialwarenhandlungen, sechs Bäckereien, sechs Fleischereien, eine Apotheke, zwei Ärzte und zwei Zahnärzte.


Das Schneiderhandwerk

Es gibt wohl selten eine Dorfgemeinde, in welcher so viele Schneidermeister und Schneider Brot und Lohn gefunden haben, wie in Groß-Peterwitz. Die Entwicklung seit der Mitte des 19. Jh. führte dazu, daß sich die Peterwitzer Schneider bereits 1861 in der freien Schneiderinnuung Groß-Peterwitz zusammenschlossen. Die Innung hatte das Recht, Gesellen freizusprechen. Im Laufe der Jahre wandelte sich das Handwerk vom Damenschneider zum Herrenschneider. Mit dem Kreis der Nähenden wurde auch der Kundenkreis immer größer. Begünstigt wurde die Entwicklung durch den Bahnbau (1854-57), die Chaussee Ratibor-Katscher (1854) und den Bau der Kleinbahn Groß-Peterwitz- Katscher (1896). Dadurch gewann man neue Kundschaft in den Herrenkonfektionsgeschäften der nahen Städte und im Industriegebiet. Für die Schulung der Lehrlinge wurde 1907 eine gewerbliche Fortbildungsschule eingerichtet und von der Innung Kurse in Zuschneiden und Schnittzeichnen abgehalten. Da das Handwerk in Heimarbeit ausgeführt wurde, wurde nebenher noch eine kleine Landwirtschaft betrieben. Ein eigenes Häuschen, einige Morgen Acker und die Liebe zum Handwerk, das waren die Motive, die die Menschen bewegten. Es gab am Ort Familien, aus denen sieben bis acht Söhne als Schneidermeister oder Schneider tätig waren. Der Innungsobermeister Johann Gotzmann, der Begründer der freien Schneiderinnung Groß-Peterwitz, hat z. B. in seiner Meisterzeit 50 Lehrlinge ausgebildet. Im Jahre 1938 zählte man in Groß-Peterwitz 62 Innungsmitglieder (Meister) und mehr als 400 beschäftigte Schneider. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind einige Peterwitzer Schneider in der Bundesrepublik zu großen Ehren gelangt. Einer von ihnen war der Schneidermeister und Herrenausstatter Josef Panzik in Bad Wörishofen, der mehrfach vom Deutschen Modekongreß mit Wanderpreisen, Auszeichnungen, dem goldenen Meisterbrief und der goldenen Nadel ausgezeichnet wurde. Zu seinen Kunden zählten namhafte Politiker und Wirtschaftsbosse. Nicht weniger erfolgreich war der Schneidermeister Ernst Marczinek in Kampen auf Sylt. In der alten Heimat ist das Schneiderhandwerk durch Gründung einer Schneidergenossenschaft zwar erhalten geblieben, hat aber das Vorkriegsniveau nicht mehr auch nur annähernd erreicht.

Groß-Peterwitz nach 1945

Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende war, war das Dorf menschenleer und die Gebäudeschäden im Dorf beträchtlich. 177 Gebäude und 49 Scheunen waren zerstört. Die Bevölkerung war ins Sudetenland, in die Tschechoslowakei und nach Österreich geflohen. Zuerst kehrten die Flüchtlinge, vor allem die Bauern mit ihren Wagen ins leere und ausgeplünderte Dorf zurück, um einen neuen Anfang unter polnischer Herrschaft zu versuchen. Um eine totale Entvölkerung der oberschlesischen Gebiete zu verhindern, versuchten die Polen einen Teil der zweisprachigen Bevölkerung über Verifikationsverfahren zu polonisieren. Der nicht verifizierbare Teil der Dorfbevölkerung mußte das Land verlassen. Der Zuzug der Polen aus dem Osten hielt sich in Groß-Peterwitz in engen Grenzen und erreichte nur etwa 15 % der Bevölkerung. Zwischen den zugezogenen Polen und den Peterwitzern bestand anfangs ein gespanntes Verhältnis. Heute haben sich die Polen in die Peterwitzer Dorfgemeinschaft integriert.

Nachdem in den sechziger und siebziger Jahren viele Dorfbewohner es vorgezogen hatten das Land hinter dem eisernen Vorhand in Richtung Westen zu verlassen, lebt etwa die Hälfte der Groß-Peterwitzer zerstreut in der Bundesrepublik Deutschland. Es sind dies die ehemaligen Soldaten, die im Westen verblieben waren, die Vertriebenen und die Aussiedler oder Spätaussiedler. Etwa ein Viertel von ihnen lebt in Bayern und etwa 22 % in Westfalen. Der Rest lebt verstreut im ganzen Bundesgebiet. Mit sehr viel Mühe und Ausdauer hat der in Heilsbronn lebende Hubert Neumann, Sohn des Gaststättenbesitzers Neumann aus Groß-Peterwitz, in den fünfziger Jahren begonnen, die Aufenthaltsorte der Peterwitzer in der Bundesrepublik zu ermitteln. Im Jahre 1954 entstanden aus seiner Initiative die „Heimatfreunde Groß-Peterwitz“. In Heimatortstreffen, die alle zwei Jahre zu Pfingsten stattfinden, werden die heimatlichen Bande untereinander und zur Heimatgemeinde gepflegt. Das Adressbuch der Heimatfreunde verfügt gegenwärtig über 500 Adressen. Für seinen uneigennützigen Einsatz wurde Hubert Neumann am 24. 01. 2000 mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Seit 1989 ist Josef Steuer Sprecher der Heimatfreunde Groß-Peterwitz. Seine Anschrift: 35510 Butzbach, Am Dreispitz 8, Tel. 06033/66212. Über die wechselvolle Geschichte des Dorfes bis in die neunziger Jahre hat der in Langen bei Frankfurt/M. lebende Groß-Peterwitzer Architekt Paul Kletzka (1926) im Jahre 1993 ein umfangreiche Buch unter dem Titel: „Groß-Peterwitz - ein Dorf im Wechsel der Geschichte (439 Seiten, 191 Abb.) verfaßt. Das im Maximillian Kolbe-Verlag Langen erschienene und vom Bundesminister des Inneren über die Stiftung Haus Oberschlesien geförderte Buch (leider vergriffen) beschreibt detailliert auch die Geschehnisse in der alten Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg.

Da viele junge Peterwitzer nach der Wende in Polen das Dorf wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten in Richtung Bundesrepublik verlassen haben, ist die Dorfbevölkerung gegenwärtig stark überaltert und auf ca. 2000 Einwohner zurückgegangen. Seit der Verwaltungsreform in Polen in den siebziger Jahren ist Groß-Peterwitz Sitz der Verwaltung einer Großgemeinde mit 11 Ortschaften. Die Verwaltung ist in der ehemaligen Volksschule (früher Schloß) untergebracht. Die jetzige polnische Anschrift der Gemeindeverwaltung lautet: Urz?d Gminy Pietrowice Wielkie, ul. Szkolna 5, 47-480 Pietrowice Wielkie. Die Schule, heute eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, ist vor rd. 25 Jahren inmitten einer neuen Siedlung auf dem Hügel an der Sandstraße errichtet worden. Seit der Wende haben sich viele Groß-Peterwitzer in dem Deutschen Freundschaftskreis DFK - Ortsgruppe Groß-Peterwitz organisiert und in der Pfarrkirche finden periodisch auch Gottesdienste in deutscher Sprache statt. Vorsitzende der DFK Ortsgruppe ist derzeit Frau Emilie Wilisz, ?ymierskiego 7, 47-480 Pietrowice Wielkie. Es gibt enge Beziehungen zwischen der alten Heimat und den Peterwitzern in der Bundesrepublik Deutschland, die sich auch darin manifestiert hat, daß z.B. mit Spendengeldern aus Deutschland ein Mahnmahl für die über 200 Gefallenen- und Vermißten des Zweiten Weltkriegs aufgestellt werden konnte.

/Paul Kletzka/